Montse hofft auf Schmuck

Rafael Benítez stellt sein Team streng nach Laktatwerten auf. Den FC Liverpool hat das immerhin ins Halbfinale der Champions League gebracht. Ob das auch heute zum Sieg reicht, ist allerdings fraglich

AUS LONDON RAPHAEL HONIGSTEIN

Fans des FC Everton und auch die Anhänger der Erzrivalen aus Manchester würden sich über einen Sieg von Chelsea freuen, der neutrale Rest des Landes aber drückt dem FC Liverpool kräftig die Daumen. Das hat wenig mit dem Fußball zu tun, der diese Saison in Anfield gespielt oder besser gesagt: nicht gespielt wird. Rafael Benítez’ Mannschaft hat höchstens in einer Hand voll Matches einigermaßen überzeugt und ist, rein zahlenmäßig, bestimmt der schlechteste Halbfinalist, den es in der Champions League je gab: Mit 31 (!) Punkten Rückstand auf den baldigen Meister und heutigen Gegner verteidigt man in der Liga gerade noch den fünften Platz.

Als Traditionsverein und Außenseiter aber haben die Reds die Sympathien auf ihrer Seite. Gerade weil es gegen den neureichen, zunehmend als arrogant wahrgenommenen „FC Chelski“ und seinen erfolgssüchtigen Trainer José Mourinho geht. Anders als der in der Wahl seiner Mittel ziemlich rücksichtslose und pausenlos eingeschnappte Portugiese hat sich der „rote Admiral“ (Sunday Times) bisher tadellos verhalten; selbst am Samstag, als ihm nach dem jämmerlichen 0:1 bei Chrystal Palace vor Enttäuschung die Tränen in den Augen standen, stellte sich der 45-Jährige wie immer professionell den Mikrofonen. So viel Anstand hätte man sich auch vom Meistermacher gewünscht – und so ist das heutige Match in den englischen Medien zur Stilfrage erklärt worden, zum Duell Mourinho gegen Anti-Mourinho.

Ironischerweise ist Benítez, der gefühlskalte Kastilier, der einzige namhafte Kollege in der Liga, mit dem sich der Chelsea-Coach noch nicht verkracht hat. Im Gegenteil – die beiden haben ein außerordentlich gutes Verhältnis. In vielerlei Hinsicht sind sich die Kontrahenten auch ähnlich. Genau wie Mourinho war Benítez nie ein großer Spieler, seine Fähigkeiten reichten gerade für die zweite Mannschaft von Real Madrid und den unterklassigen AD Parla. Immerhin kam er auf fünf Länderspiele: bei der Studentenolympiade 1979.

Genau wie Mourinho schloss Benítez ein Sportstudium ab, übernahm dann Jugendmannschaften von Real Madrid und stieg später mit Extremadura und Teneriffa in die erste Liga auf. Als Valencia nach dem verlorenen Champions-League-Finale gegen den FC Bayern 2001 Héctor Cúper entließ, war der relativ unerfahrene Benítez nur die vierte Wahl. Er bekam den Job, weil sich der klamme Verein keinen Startrainer leisten konnte. Seine hochmodernen Methoden – Benítez lässt Stärken und Schwächen seiner Spieler ständig von extrem teurer Computer-Software auswerten und stellt streng nach Laktatwerten auf – wurden belächelt, brachten aber Erfolg. In seinem ersten Jahr gewann er die Meisterschaft, vergangene Saison gelang dies ein zweites Mal, dazu noch der Gewinn des Uefa-Pokals. Zuletzt geriet er jedoch im Streit zweier Klubeigner zwischen die Fronten und wurde vom Sportdirektor gemobbt. „Ich wollte ein Sofa. Man hat mir eine Lampe gekauft“, klagte er kurz vor seinem Abschied, als man einen Spieler gegen seinen Willen verpflichtet hatte.

Leider hat er nun neben guten Leuten wie Xabi Alonso und Luis Garcia auch ein halbes Dutzend unterdurchschnittlich begabte Kicker aus Spanien an die Mersey geholt, auch deswegen kommt das zwischen Abwicklung und Aufbau befindliche Team in der Liga kaum vorwärts. Immerhin in der Champions League hat die „Rafalution“ (Liverpool Echo) Früchte getragen. „Da haben wir mit Kopf und Herz gespielt“, sagt Benítez, mit dieser Mischung soll auch Chelsea bezwungen werden.

Seine Frau Montse sei jedenfalls „überzeugt, dass wir gewinnen“, hat er gesagt, sie hätte auch schon ein Auge auf eine neue Armbanduhr geworfen. Denn jedes Mal, wenn „Rafa“ einen Titel holt, bekommt Montse ein neues Schmuckstück. Die Gattin wiederum hat berichtet, dass ihr vom Fußball besessener Mann öfters im Schlaf taktische Anweisungen brüllt. Und beim 0:0 in Turin hat er Verteidiger Carragher beiseite genommen und ihn mehrfach darauf hingewiesen, Pavel Nedved nicht aus den Augen zu lassen, selbst als das Spiel schon abgepfiffen war. Diesen Perfektionismus teilt der Brillenträger mit seinem stoppelbärtigen Gegenüber. Jetzt fehlt nur noch der ganz große Wurf. Denn immer ein guter Verlierer zu sein, macht auf Dauer auch keinen Spaß.